Eigentlich war das keine Absicht. George Dzodzuashvili aka Post Industrial Boys hatte schon mit dem Musikmachen abgeschlossen, da las er über die Texte seiner Frau und ein Funke hat Feuer geschlagen. Unintended war geboren. Wie der Phönix aus der Asche, die aktuelle Platte des Monats März.
2.687 km Luftlinie trennen uns von Tiflis. Eine Stadt, die unweit des gewaltigen Kaukasusgebirges liegt. Bis 1991 gehörten Tiflis und ganz Georgien zur Sowjetunion. Unter russischer Herrschaft kam es zu vielen Gewaltauseinandersetzungen, denn Georgien wollte unabhängig sein. Am 9. April 1989 wurde ein Hungerstreik in Tiflis gewaltsam vom russischen Militär beendet. 20 Menschen starben.
Aus Dr. wird DJ
George Dzodzuashvili war zu dem Zeitpunkt 18 Jahre alt. Er sollte später an der Medical University studieren. Aus George wurde aber kein Doktor, sondern Musiker. Unter dem Pseudonym Gogi.ge.org (kurz: Gogi) gründete er Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion das Künstlerkollektiv Goslab. Goslab setzt sich aus den russischen Wörtern für staatlich und Lab(oratorium) zusammen. Eine Erinnerung an die Vergangenheit und gleichzeitig Appell zum Vorwärtsdenken.
Entgegen anderer Musiker Goslabs, hielt Gogi Politik fern von seiner Musik. Er hat Elektro für sich entdeckt und gründet nach ersten musikalischen Ausflügen Mitte der Neunziger sein Projekt Post Industrial Boys. Der Name führt in die Irre: der einzige Boy ist Gogi. Das selbstbetitelte Debütalbum erscheint 2004. Gogi komponiert die Musik, Singen sollen Freunde aus dem Künstlerkollektiv. Die Songs sind minimalistisch gehalten. Keine harten Drums, keine Brüche, gesäuselter Gesang.
Eine deutsch-georgische Freundschaft
Über seine Kollegin TBA lernen sich Gogi und der deutsche Techno-DJ Thomas Brinkmann kennen. Durch ihn erscheinen die ersten beiden Post Industrial Boys-Alben auf Brinkmanns eigenem Label Max Ernst auch in Deutschland. Das zweite Album erscheint 2006 mit dem Titel Post Industrial Trauma. Für die 20 Songs holt Gogi sich immerhin noch sechs Sänger, singt aber auch mal selbst. Wenn man das so bezeichnen kann - es ist mehr Sprechgesang und erinnert entfernt an eine Entspanntheit Erlend Øyes. Er verrät Interessen für Kurt Vonnegut und Lou Reed, covert seinen Song "Take A Walk On The Wild Side" sogar.
Trotz des deutschen Labels kommt er nicht wirklich in Deutschland an. In seinem Heimatland dagegen gewinnt Gogi Anerkennung. Er komponiert Film- und Theatermusik und wird als Pionier der georgischen Elektro-Szene verstanden. Irgendwann beginnt er aber alles zu hinterfragen, schafft sich seine persönliche Krise und legt die Post Industrial Boys auf Eis.
Zuerst war das Wort, dann die Musik
10 Jahre dauert es bis 2016 das dritte Album der Post Industrial Boys erscheint: Unintended. Schon 2012 hatte Gogi neue Songs online veröffentlicht, die es auf Unintended geschafft haben. Seine Frau war Gogi in all den Jahren eine seelische Stütze gewesen und ohne sie hätte es dieses Album nicht gegeben. Eines Tages entdeckte Gogi nämlich in den Texten, die seine Frau nur so für sich geschrieben hat, Potential. Um die Texte baute er Musik und sang sie anschließend selbst ein. So unbeabsichtigt das Album auch entstanden ist, Gogi macht es zu einer persönlichen Sache zwischen sich und seiner Frau. Diesmal kein Goslab.
Eine andere Frau schafft es dann aber doch auf's Album. Die georgische Schauspielerin Mzia Arabuli gibt auf Naked einen Text Vazha-Pshavelas wider. Trotz des Titels singt sie auf georgisch - es ist das einzige georgische Lied auf Unintended. Vazha-Pshavela gilt als einer der größten georgischen Dichter. Er lebte im 19. Jahrhundert in Georgien. Wie Arabuli kommt er aus der Gebirgsregion. Sein Leben wie seine Texte sind von einer Einfachheit und Tiefe geprägt, die Gogi imponieren und inspiriert haben.
So einfach und tief klingt auch Unintended. Im Gegensatz zu den beiden Vorgänger-Alben ist es ruhiger, bedächtiger und beinahe schon meditativ, sobald Gogi singt. Textlich verzichtet er nach wie vor auf politische Themen. "Politik bewegt sich immer schneller und ist zeitabhängig" sagt Gogi "meine Musik soll zeitlos sein, etwas, das losgelöst von Politik ist."
Tatsächlich ist Unintended als Entschleuniger zu verstehen. Bis auf wenige Ausreißer (Naked; Unintended) sind die Songs Teil eines größeren Ganzen. Ein Besuch im Labor eines Musiktüftlers.
"Unintended" von Post Industrial Boys ist am 26. Februar 2016 bei Karaoke Kalk erschienen.
Platte des Monats
Conor O'Brien zeigt mit The Art of Pretending to Swim, dass Indie-Folk auch im Jahr 2018 noch spannender klingen kann, als man das von diesem Genre erwartet hätte. Das vierte Album der Villagers vereint, was eigentlich widersprüchlich wirkt: Folk mit R'n'B und Experimentierfreude mit Zugänglichkeit.